SIXX: A.M.: „Nichts ist planbar!“
Im Jahr 2007, also vor rund fünfzehn Jahren, gründete Mötley Crüe-Bassist Nikki Sixx das Nebenprojekt SIXX: A.M. – gemeinsam mit seinen Freunden, Gitarrist DJ Ashba (Das A der Band) und Produzent und Sänger JAMES MICHAEL (logischerweise das M). Ziel war es, das frisch veröffentlichte Buch „The Heroin Diaries“ von Nikki musikalisch zu untermalen. Im selben Jahr folgte dann das Album „The Heroin Diaries Soundtrack“. Vier Jahre später folgte mit „This Is Gonna Hurt“ das nächste Buch und das dazugehörige Album, bevor die Band anfing Alben ohne Buch-Kontext zu veröffentlichen. Doch nun, pünktlich zum fünfzehnten Jubiläum, steht mit „My First 21“ wieder ein Buch aus dem Hause Sixx an. Was eignet sich also besser, um gleich neue Musik seines Projektes zu Veröffentlichen. Wir haben mit James sprechen können.
HARDLINE: James, schön dich wiederzusehen. Es ist eine gefühlte Ewigkeit her, als wir uns das letzte Mal getroffen haben.
JAMES MICHAEL: Ja, ich erinnere mich. Das muss zur Veröffentlichung von „Prayers For The Damned“, oder?
HL: Ja, das ist korrekt. 2016 war das. Inzwischen sind also fünf Jahre vergangen, wo keine neue Musik von euch kam, obwohl es sicherlich eine große Nachfrage gab.
JM: Ja, das ist richtig. Es fühlt sich gut an, wieder neue Musik am Start zu haben und wieder zurück im Sattel zu sein, wie man so schön sagt. Wir sind gespannt, was noch kommt.
HL: Obwohl ich ein wenig geschummelt habe. Es sind keine fünf Jahre her, seitdem man etwas von euch gehört hat. Letztes Jahr kam ein erstes Lebenszeichen von euch. Ihr habt den Song ‚Maybe It’s Time‘ vom Album „Prayers For The Blessed“ neu aufgelegt und euch dafür auch Unterstützung von Leuten wie Joe Elliott von Def Leppard, Corey Taylor von Slipknot und Stone Sour, Slash und Ivan Moody von Five Finger Death Punch geholt. Warum habt ihr so lange gebraucht, um wieder zusammenzufinden? Ich dachte ihr seid enge Freunde.
JM: Das sind wir. Wir sind eng befreundet und auch wenn wir uns nicht jeden Tag sehen, wir telefonieren mehrfach die Woche. Nicht immer mit beiden zusammen, aber selbst da versuchen wir einmal die Woche ein Skype-Meeting abzuhalten. Aber es ist nun mal auch so, dass wir nicht jünger werden, hahaha. Wir haben 2015 in einem kurzen Abstand voneinander zwei Alben veröffentlicht. Das war schon ein anstrengender Prozess, die Songs zu schreiben und aufzunehmen. Danach sind wir auf Tour gegangen. Im Jahr 2016 haben wir die Tour beendet und waren einfach müde. Wir brauchten alle eine Pause. Aber die haben wir nicht sofort genommen, weil wir das Momentum nicht verlieren wollten. Wir wollten noch ein paar Eindrücke von der tour und allem verarbeiten, also sind wir gleich wieder ins Studio gegangen, um ein paar weitere Songs zu schreiben. Wir hatten nicht vor sofort ein neues Album zu schreiben, aber wir wussten, dass wir diese Songs brauchen. Frag mich nicht warum, aber wir wussten, dass wir eventuell eines Tages dieses „H.I.T.S.“-Album rausbringen werden und dafür wollten wir ein paar neue Songs.
HL: Das klingt aber schon sehr kalkuliert, oder?
JM: Sicher, in deinen Augen kann ich das verstehen. Bestimmt wird der eine oder andere Fan das ähnlich sehen, aber bei uns ist nichts geplant. Nicht ein bisschen. Diese Band lebt von der Spontanität. Wie dem auch sei, wir haben diese Songs geschrieben und aufgenommen und sind dann erst einmal getrennte Wege gegangen. Im Guten natürlich. Wir brauchten einfach diese Zeit. Die Pause war nötig und wir haben uns etwas Freiraum geschaffen. Und dann kam Covid… Wir saßen also alle zuhause und hatten unsere Pause ausgekostet und konnten förmlich beobachten, wie ein Virus die gesamte Welt veränderte.
HL: Das heißt, ihr hattet also den Wunsch gehabt, wieder in die Öffentlichkeit zu treten, als Corona die Welt stoppte?
JM: Nein, wie gesagt, es gibt bei uns keinen Plan. Aber klar, wir hatten uns unterhalten und Ideen besprochen. Nikki erzählte uns dann in einer unserer Sessions, dass er gerade ein neues Buch beendet hatte. Es heißt „My First 21“ und beschreibt seine ersten einundzwanzig Jahre, also die Zeit, als er noch Frank Feranna war. Und ich fand die Idee spannend, dass wir einen passenden Song dazu schreiben, so wie wir es früher gemacht hatten. Mir kribbelte es da schon in den Fingern. Und es fühlte sich großartig an, als wir drei wieder zusammen Songs geschrieben hatten. Es war toll.
HL: Aber anscheinend braucht ihr immer Bücher, um wieder zusammenzufinden.
JM: Ja, das ist doch witzig. Es scheint für uns gemacht zu sein. Es ist so unser Ding geworden. Aber warum auch nicht? Es macht Spaß und man hat viel Inspiration. Es ist eine großartige Erfahrung ein Buch als Vorlage zu nehmen, anstatt einfach so Songs zu schreiben. Klar, wir hatten drei Alben ohne Buchvorlage gehabt. Aber ich stelle fest, dass uns das Schreiben leichter fiel, wenn wir diese Vorlage nutzen. Das gibt uns einen zusätzlichen Grund Songs zu schreiben und liefert zugleich auch eine Art Wegführer. Ah, dieser Part des Buches führt in diese Richtung? Okay, dann muss ich den Song auch in die Richtung lenken.
HL: Du sagtest ja, dass ihr bereits einige Songs geschrieben hattet, als ihr eure Tour im Jahr 2016 beendet hattet. Das bedeutet also, dass der einzige wirklich neue Song von euch ‚The First 21‘ ist.
JM: Ja, das ist korrekt. Die anderen Songs sind aus der Session von vor fünf Jahren. Dafür ist dieser Song extrem frisch. Wir haben ihn vor circa vier Monaten geschrieben. Und das ohne irgendwelche Pläne im Hinterkopf. Weder mit einer Tour noch wie es sonst mit Sixx: A.M. weitergeht. Wir wussten nur, dass wir das „H.I.T.S.“-Album veröffentlichen wollten und dieser Song hat sich geradezu angeboten.
HL: Jetzt sagst du gerade, es gab keine Tour Pläne. Ich denke mal, in diesem Fall spielt weniger Covid eine Rolle, oder? Denn schon bevor Corona die Welt in Geiselhaft nahm, gab es ja von Nikkis Seite die große Ankündigung der Mötley Crüe-Reunion.
JM: Exakt. Auch wenn ich gerne mit Nikki unterwegs bin. Ich freue mich genauso auf die Reunion und es ist schade, dass sie immer weiter nach hinten geschoben wird wegen Corona. Aber das ist halt ein Grund, warum Nikki komplett ausgebucht ist. Er hat Mötley Crüe das bedeutet, dass er hier proben und sich um die Business-Seite kümmern muss. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Dann hat er sein Buch gehabt. So wie ich ihn kenne, hätte er bestimmt noch weitere Kapazitäten für Sixx: A.M., aber ich will auch nicht, dass wir am Ende einer Tour wieder so ausgelaugt und müde sind. Es soll allen Spaß machen. Also planen wir nichts. Wir lassen Dinge auf uns zukommen. Und so gehen wir auch an ein Album ran. Wir haben immer im Hinterkopf, dass dies das letzte Album ist, was wir machen. Umso mehr strengt man sich auch an, denn sollte das tatsächlich der Fall sein, möchte man mit einem extrem guten Album abtreten und nicht mit einem mittelmäßigen Werk oder, noch schlimmer, einem Rohrkrepierer. Und irgendwann nach einer Weile werden wir von irgendetwas inspiriert, was den Funken überspringen lässt und das Feuer entfacht. So gefällt mir das Arbeiten. Sixx: A.M. lassen sich immer von der Inspiration leiten. Und die kann manchmal dauern. Es passiert schnell, dass man in diesem Album-Tour-Rhythmus gefangen wird. Man fühlt sich verpflichtet. Man geht ins Studio, schreibt Songs, nimmt diese auf. Das Album wird veröffentlicht, man geht auf Tour. Wenn man Glück hat, geht man auf eine lange Tour. Danach geht man wieder ins Studio und alles geht von vorne los. Da bleibt die Inspiration oft auf der Strecke. Vor allem, wir werden ja auch älter. Diese Routine ist was für junge Leute. Wir sind da raus, hahaha. Das war auch so schön an diesem Best of Album. Es ist die richtige Zeit dafür. Wir feiern Jubiläum und konnten ein Album zusammenstellen, dass die komplette Karriere Revue passieren lässt. Es ist interessant die verschiedenen Stadien von Sixx: A.M. nachzuverfolgen. Und dafür haben wir uns die neuen Songs vorbehalten. Denn was soll ein Fan mit einem Best of? Im Ernst jetzt. Die haben in der Regel alle Alben und damit alle Songs. Man muss also auch etwas für den Fan zu bieten haben und da haben sich die neuen Songs einfach angeboten.
HL: Ihr habt inzwischen fünf Alben auf dem Markt und damit auch eine Handvoll Hits. Ein Best Of-Album macht natürlich Sinn. Auch wenn jetzt gerade ein wenig Wehmut mitschwingt, weil du sagst, dass kein Album derzeit geplant ist. Ich bin ein großer Sixx: A.M.-Fan und obwohl ich auch ein riesiger Fan von Mötley Crüe bin, so ist Sixx: A.M. noch ein paar Stufen über der Crüe, was vor allem an der Tiefe eurer Texte liegt, während die Crüe natürlich die Partykracher zu bieten hat. Ich hoffe einfach, dass ihr drei mit diesem Best of wieder Blut geleckt habt und doch wieder ins Studio geht.
JM: Bei dieser Band weiß man das nie so genau. Es kann durchaus passieren, dass DJ oder Nikki am Wochenende anrufen und sagen, dass wir uns im Studio treffen. Aber, wo du gerade den Unterschied zwischen Mötley Crüe und Sixx: A.M. erwähnt hast. Ich sehe das genauso. Bei Sixx: A.M. kann Nikki eine komplett andere Seite von sich zeigen. Er zeigt hier, wie vielfältig er eigentlich ist. Das sieht man auch an seinen Büchern. Sei es „The Heroin Diaries“ oder „This is Gonna Hurt“ oder eben „My First 21“, mit jedem Buch entdeckst du eine komplett neue Seite von ihm und langsam kannst du das Puzzle zusammensetzen und lernst den Mann hinter der Legende kennen und Sixx: A.M. spielt da auch seine Rolle. Auch unsere Texte offenbaren viel Persönliches von ihm.
HL: Du hast ja eingangs gesagt, dass ihr wusstet, dass ihr irgendwann so ein Best of machen würdet. Dann kam Covid und hat alles gestoppt. Nikki konnte nicht mit der Crüe auf Tour und auch sonst war man zum Nichtstun verdammt – zumindest auf dem Live-Sektor. Nun seid ihr aber Künstler. Ich kenne viele Musiker, die die Zeit genutzt haben, um neue Alben zu schreiben. Es wäre doch auch für euch eine passende Möglichkeit gewesen. Alles steht still, ihr trefft euch, um die Zusammenstellung zu besprechen, stellt fest, dass ihr ein paar neue Songs habt. Dann ist der Schritt nicht weit zu sagen, ‚Lasst uns doch ein komplettes Album schreiben‘. Sieht man ja aktuell auch bei ABBA, die genauso vorgegangen sind.
JM: Da stimme ich dir zu. Ich sehe es auch, dass seit letztem Jahr so viele fantastische Alben von Bands herauskamen, die wir alle lieben. Was Fans oft nicht auf dem Plan haben ist, dass es für eine tourende Band extrem schwierig ist, Zeit für ein neues Album zu finden. Du musst einen kurzen Zeitraum zwischen zwei Tourneen finden, um ein Album zu schreiben, denn die meisten Musiker leben eben genau von Tourneen. Und wenn das wegfällt, dann findet man Ruhe und Zeit und kann auch intensiver an Musik arbeiten. Für diese Musiker ist es in der Tat wichtig, einmal durchzuatmen. Bei Sixx: A.M. ist das anders. Wir sind nicht gezwungen neue Songs zu schreiben. Wir sind nicht gezwungen auf Tour zu gehen. Für uns drei ist das tatsächlich ein Nebenprojekt, auch wenn es eine echte Band ist. Es klingt zwar abwertend ist es aber nicht. Das gibt uns den Luxus, dass wir Songs schreiben, wenn wir von irgendetwas inspiriert werden. Wenn dabei ein komplettes Album herauskommt: Super. Wenn dabei kein komplettes Album herauskommt: Auch gut. Wir haben da keinen Druck. Aber wir haben auch alle drei wenig Zeit, weil eben unsere anderen Projekte viel Zeit in Anspruch nehmen. Wir alle lieben Sixx: A.M. und lieben es Musik dafür zu machen. Aber alles zu seiner Zeit. Aber ich glaube genau das ist es, was unsere Leidenschaft an Sixx: A.M. die ganze Zeit hochhält. Wir machen etwas für die Band, wenn wir Zeit dafür haben. Wenn wir eine Weile mit der Band unterwegs sind, dann kommt wieder so eine Gewohnheit rein. Ich erinnere mich noch gut an unsere letzte Show, als wir von der Bühne gegangen sind. Ich habe Nikki angeschaut und gesagt: ‚Wir machen das aber jetzt für eine ganze Weile nicht mehr, oder?‘, hahaha.
HL: Hahaha, da kommt einem der Gedanke an Rente, oder?
JM: Ganz genau. Da habe ich Leute wie Ozzy oder Kiss verstanden, die sagen, dass sie aufhören, hahaha.
HL: Ich habe ja eingangs erwähnt, dass ihr letztes Jahr den Song ‚Maybe It’s Time‘ neu aufgelegt habt. Wie kam es dazu?
JM: Nun, wir wollten den Fokus auf die Opioid-Plage bei uns werfen. Alle Welt spricht von Covid, aber hier geht es um massiven Drogenmissbrauch, der wird gerne unter den Teppich gekehrt. Wir fanden, dass dieser Song perfekt geeignet war, und haben unsere Freunde gefragt, ob sie Lust hätten mitzumachen. Uns war vor allem wichtig, dass alle Kollegen, die teilgenommen hatten, auch eine Sucht besiegt haben. Es hat eine großartige Wirkung.
HL: Warum ist diese Version nicht auf eurem Best of gelandet?
JM: Gute Frage… Als Bonus hätten wir es machen können, aber das Album war schon recht voll. Und hier ging es um unsere Karriere, deswegen haben wir die ursprüngliche Version genommen.
Text: Pat St. James
Photo Credit: Dustin Jack