Interviews

Depeche Mode Interview: Die Arbeit half, den Verlust zu verkraften

Sie gründeten sich im Jahr 1980, veröffentlichten bis zum heutigen Tag 14 Studio-Alben (zzgl. vier Live-Alben, diverse Zusammenstellungen und knapp 60 Singles) und verkauften im Laufe der letzten knapp 43 Jahre weit über 100 Millionen Tonträger und gelten damit als eine der erfolgreichsten Bands der Welt: DEPECHE MODE. Sechs lange Jahre (der letzte Longplayer „Spirit“ erblickte im März 2017 das Licht der Welt) mussten die Fans auf neues Material warten, das lange Warten endet nun am 24. März 2023 und … es hat sich gelohnt. Zwölf neue Songs bei einer Gesamtspielzeit von über 50 Minuten lassen kaum Wünsche offen. Neben dem extrovertierten Sänger Dave Gahan ist es vor allem das eher schüchterne Genie Martin Gore, welcher für etliche Depeche Mode Hits verantwortlich ist. Und eben dieser Martin Lee Gore beantwortete im Interview einige Fragen, die sich rund um das Album, aber auch um den viel zu früh verstorbenen Freund und Bandkollegen Andrew „Fletch“ Fletcher drehten …

Hardline: Martin, zuerst einmal unseren Glückwunsch zum neuen Album! Subjektiv betrachtet ist für mich „Memento Mori“ musikalisch eines eurer stärksten Alben der letzten Jahre, thematisch ein wenig wie eine Fortsetzung des letzten Albums, auf dem es ebenfalls um Fragen ging, wie: Gibt es die Menschheit noch? …. Geht es hier um verlorene Unschuld?

Martin Gore: Für mich haben viele der Songs den Tod zum Thema. Und den Begriff „Memento Mori“ hatte ich bis vor etwa einem Jahr noch nie gehört. Ich unterhielt mich mit einem Freund, der ihn zufällig erwähnte, ihn mir erklärte und mir von einer Wiki-Seite erzählte, die ihn sehr gut erklärte, also ging ich auf diese Seite und dachte: Was für ein toller, starker Titel, und ich denke, er passt wirklich zur Stimmung der Songs, die ich geschrieben habe.

„Memento Mori“, ab den 24.03.2023 im Handel

HL: War Covid ein Teil dieses ganzen Denkens über den Tod und das Bewusstsein der Sterblichkeit?

Pic-Credits by Anton Corbjin

MG: Ich glaube, ich war einer der Glücklichen, die während des Covid fliehen und arbeiten konnten, weil ich zu Hause ein Studio habe. Ich glaube, wenn ich das nicht gehabt hätte, wäre ich vielleicht ein bisschen verrückt geworden. Es gibt nicht viele positive Dinge, die man über die Pandemie sagen kann, aber sie hat mir viel mehr Zeit zum Schreiben gegeben. Wobei ich allerdings auch erwähnen muss, dass es während der Pandemie-Zeiten auch Phasen gab, in denen ich mich beim Schreiben nicht so kreativ fühlte, weil man weiß, dass man etwas hineinstecken muss, damit etwas herauskommt. Und es gab Zeiten, in denen ich nicht wirklich viel Inspiration hatte. Und Richard Butler war wirklich gut darin, mit Ideen aufzuwarten. In den Zeiten, in denen es mir nicht so gut ging und ich das Gefühl hatte: Oh, ich fühle mich heute nicht sehr inspiriert, schickt er mir vielleicht ein paar Worte oder eine Idee, und wir kommen wieder in Schwung. Insgesamt sind vier Songs von uns beiden auf dem Album gelandet.

HL: Dann lass uns ein wenig über das neue Album, zum Beispiel über die Single „Ghosts Again“ sprechen. Zum einen eine großartige Melodie, zum anderen aber auch ein toller Text. Er mutet ein bisschen an wie die Suche nach etwas Verlorenem, nach etwas Unschuldigem, wie zufrieden bist du mit dem Song?

MG: Das ist einer der Songs, die ich zusammen mit Richard Buttler geschrieben habe. Wir haben schon sehr früh gemerkt, dass dieser Song etwas Besonderes ist, weil er uns nie langweilig wurde. Wir konnten ihn immer und immer wieder hören, ohne uns daran zu satt zu hören. Und bis jetzt hat sich das auch in der realen Welt bewährt, denn wir werden überall von Radiosendern gespielt, sogar von einigen, die uns jahrelang nicht gespielt haben. Außerdem wird der Song auch von sehr seltsamen alternativen Radiosendern respektiert, wir haben also scheinbar einen Track mit universeller Anziehungskraft gemacht.

HL: Dann gibt es – so zumindest meine Recherchen – den ersten gemeinsamen Songs von Dave Gahan und Martin Gore auf einem Album, getauft auf den Namen „Wagging Tongue“. Für mich DAS Highlight auf dem Album …

MG: Auch ich bin mit dem Song sehr zufrieden, er ist ein wenig poppiger als die anderen, mit einer sehr gelungenen Melodie.

HL: Ein weiterer Lieblingssong von mir ist „Caroline’s Monkey“, was ist die Geschichte dahinter?

MG: Ebenfalls einer von den bereits erwähnten insgesamt vier Songs auf dem Album, den ich zusammen mit Richard geschrieben habe. Es ist ein Song über einen Süchtigen bzw. über die Sucht an sich. Es geht darum, einen Affen auf dem Rücken zu haben.

HL: Als letzte Thema das wohl traurigste. Am 26. Mai 2022 starb dein Freund und Bandkollegen Andrew Fletcher an den Folgen einer Aortendissektion. Es muss komisch sein, das alles jetzt ohne Fletch zu machen ….

Pic-Credits by Anton Corbjin

MG: Als ich von seinem Tod erfuhr, war ich … komplett entsetzt.  In der Zeit danach haben Dave und ich dann nur funktioniert, nicht mehr, nicht weniger. Es ist unheimlich schwer, einen seiner engsten Freunde zu verlieren, Andi und ich waren ja schon weit vor Bandgründung befreundet. Und so blöde es sich vielleicht anhört, die Arbeit hat Dave und mir dabei geholfen, darüber wegzukommen, wir beide waren froh, dass wir die Musik hatten. Wir sind durch Andys Tod um einiges näher zusammengerückt, auch weil wir es mussten, denn vorher war es fast immer Andy, der uns zusammengebracht hat, er war der verbindende Teil. Aber nun ist alles anders, ich meine, wir reden jetzt ständig darüber, wie viele Premieren wir aktuell zu bewältigen haben, bewältigen müssen. Es war eine Premiere, das Album zu machen, dann mussten wir unsere erste Fotosession machen, jetzt haben wir einen Haufen TV-Shows und Promo gemacht, alles ohne ihn! All diese Dinge sind seltsam. Und heute Abend werden wir in einem Theater spielen, was eine weitere neue Sache sein wird. Und glaube mir, das ist hart!

Text: Alexander Stock

Front Pic-Credits by Anton Corbjin