Unser großes Interview: Placebo hissen wieder die Segel
Sie gründeten sich Mitte der neunziger Jahre in London, England, veröffentlichten bislang sieben Studio-Alben und verkauften weit mehr als zwölf Millionen Tonträger: die Alternative Rocker von Placebo. Diese Band ist im Prinzip ein Duo, bestehend aus Brian Molko (Gesang, Gitarre, Bass, Keyboard) und Stefan Olsdal (Bass, Gitarre, Keyboard), bei Live-Gigs werden die beiden dann noch von drei weiteren Musikern unterstützt. Fast neun Jahre nach ihrem letzten Longplayer „Loud Like Love“ (2013), gibt es ab Ende März mit „Never Let Me Go“ endlich den Nachfolger zu erwerben. Grund genug, uns mit Bassist Stefan Olsdal darüber auszutauschen
Hardline: Hallo Stefan, Moin Moin wie wir hier in Hamburg sagen. Danke dass du dir einen Augenblick für unsere Hardline Leser Zeit nimmst, ehrlich gemeinter Glückwunsch zu einem großartigen, weil abwechslungsreichen Album. Welche signifikanten Unterschiede empfindest du bei „Never Let Me Go“ im Gegensatz zu den Vorgängern?
Stefan Olsdal: Hi Alex, danke für deine positive Kritik! Das neue Album ist an der einen oder anderen Stelle ruhiger als seine Vorgänger. Wirkte es auf den älteren Platten noch so, als könnten wir nicht schnell genug zum Refrain kommen, haben wir uns jetzt Zeit und eine Art von Stille genommen. Wie meinte eine Band aus deinem Heimatland Deutschland, die Einstürzenden Neubauten, damals? „Silence is Sexy“.
HL: Mir hat es wirklich gefallen, wie ihr auch auf diesem neuen Longplayer dieses spezielle Placebo-Gefühl rauskitzelt. Sound, Stimme, alles was das Fan-Herz sich wünscht. Euer letztes Album „Loud Like Love“ stammt aus dem Jahr 2013, seitdem wurden – bis auf die EP „Life’s What You Make It“ aus 2017 – keine neuen Songs mehr veröffentlicht. Nun konnte ich lesen, dass das neue Album eigentlich im Frühjahr 2020 fertig war und die finalen Arbeiten daran aufgrund der Pandemie nicht fertig wurden. Danach habt ihr die Songs noch einmal überarbeitet. Wie genervt ist man, wenn die Songs fertig sind, aber nicht rausgelassen werden können und wie hast du persönlich die Corona Pandemie empfunden?
SO: Entgegen vielen anderen Menschen, konnte ich in meiner Situation vor zirka zwei Jahren doch auch positive Dinge des ungewollten Lockdowns mitnehmen. In dieser entschleunigte sich mein Leben ein Stück weit, denn ich hatte in den vergangenen fast 25 Jahren so gut wie nie Zeit zum Durchschnaufen gehabt. Der Kreislauf Album/Tour/Album ließ einem kaum Zeit, der Terminkalender war stets voll. Was die Arbeiten zum Album angingen hatten Brain und ich tatsächlich einmal Zeit, sowohl textlich als auch musikalisch uns zu entwickeln, neue Ideen zu entwickeln, Songs zu entwickeln, die sich gut und aktuell anfühlen. Einige dieser Ideen liegen allerdings schon seit ein paar Jahren in der Schublade, nun war es an der Zeit, diese zu öffnen und die Ideen fertigzustellen. Es ist wie bei vielen anderen Bands auch, dass man das eine oder andere Riff hat, eventuell ist der Song grob auch schon fertig, er passt dann aber nicht zum Album oder nicht in die Zeit. Aber ein guter Song ist ein guter Song, deswegen speichert man diesen, bis die Zeit für ihn reif ist. Ein negativer Punkt an der Pandemie war, dass man sich physisch einige Zeit nicht sehen durfte, dieses war schon ein wenig nervig, aber am Ende ist ja „Never Let Me Go“ dann doch fertig geworden.
HL: Die Ankündigung des neuen Albums vor einigen Monaten hat bei euren Fans Begeisterungsstürme ausgelöst ….
SO: Wir waren selbst davon überrascht, was für ein grandioses Gefühl, immer noch so geliebt zu werden. Vielleicht ist es aber auch ein Ergebnis davon, dass wir uns nicht wirklich omnipräsent in den sozialen Medien bewegen, nicht jeden Tag posten, was es gerade bei uns zu Essen gibt.
HL: Was symbolisiert euer Cover? Am Anfang dachte ich Umweltverschmutzung, aber da liege ich wohl falsch?
SO: Nein, du bist tendenziell richtig unterwegs. Neben einigen anderen aktuellen Themen ist die Zerstörung der Natur das wohl dringlichste. Es ist uns in jedem Fall so wichtig, dass wir es für einen Fehler hielten, es nicht anzusprechen. Wir erinnern mit diesen kleinen Kieselsteinen, die eigentlich künstliche Glasstücke sind, welche so oft angespült wurden, dass sie irgendwie abgerundet und geglättet wurden. Es soll daran erinnern, womit die Menschen diesen Planeten verschmutzt haben.
HL: Ich konnte in einem früheren Statement von dir lesen, dass du die letzte Tour nicht mehr wirklich genießen konntest, Du meintest, „die Tour saugte buchstäblich das Leben aus mir heraus. Ich hatte nicht mehr viel Begeisterung für die Band übrig, ich glaube, ich war einfach ausgelaugt. Der Gedanke, dasselbe wieder zu tun, erfüllte mich mit Grauen.“ Wie ist dein Zustand heute, konntest du dich resetten, hast du deine Batterien wieder auffüllen können?
SO: Weißt du, ich lebe Placebo mehr als die Hälfte meines Lebens, hab die Band mittlerweile tief in meiner DNA. Auch wenn die vergangene Tour in vielerlei Hinsicht schmerzhaft war, konnte ich mich einfach nicht dem Wunsch von Brian verwehren, ein neues Album in Angriff zu nehmen. Denn wenn ich ehrlich zu mir bin, liebe ich die Band, liebe ich unsere Fans und bin unfassbar stolz darauf, was wir in all den Jahren gemeinsam erreicht haben. Wir trafen uns eines Tages nicht wie sonst in einer Kneipe, sondern in einem Café, um über das neue Werk zu sprechen. Ich war mir am Anfang wirklich nicht sicher, ob ich es schaffen kann, ob ich es noch in mir habe. Brian war es dann, der mit seinem Enthusiasmus mich mitgenommen hat und meine Zweifel beiseite strich.
HL: Du segelst von Anfang an zusammen mit Brian im Boot Placebo, wenn man euch auf der Bühne beobachtet, scheint ihr ein sehr ehrliches und vertrauensvolles Verhältnis zu haben, dies erkenne ich auch aus deiner eben gegebenen Antwort. Ist dieses „Wir“-Gefühl auch beim Kreieren von Songs zu spüren?
SO: Da die Arbeiten zu jedem neuen Album bei uns immer eine sehr persönliche Reise ist, kann ich die Frage nur mit einem klaren Ja beantworten. Die gesamten Arbeiten wurden mehr oder weniger ausschließlich von Brian und mir verübt, Unterstützung hatten wir bei „Never Let Me Go“ im Prinzip nur von unserem Produzenten Adam Noble und von Bill Lloyd, der seit dem ersten Tag bei uns war und für das Programming und Engineering verantwortlich war. Ansonsten waren wie erwähnt nur Brian und ich für Texte und Musik zuständig. Wir saßen anfangs kopftechnisch recht „nackt“ im Studio und begannen dann, Ideen zu entwickeln. Wir durchlebten beim Schreiben den einen oder anderen doch recht emotionalen Moment, entwickelten dabei beide tolle Ideen und gingen mit uns immer sehr offen und ehrlich um. Ich denke, da wir beide auch unsere sensiblen Momente bei der Arbeit haben, ist es eine unserer absoluten Stärken, den anderen so zu nehmen, wie er ist.
HL: Nun veröffentlicht ihr ja nach vielen Jahren nicht nur ein neues Studio-Album, ihr kündigt in diesen immer noch speziellen Zeiten auch eine neue Live-Tour an. Wie vorhin schon angesprochen, warst du nach Beendigung der letzten Tour extrem ausgelaugt, leer….
SO: Anfangs waren die Planungen einer neuen Tour für mich extrem beängstigend, dieses lag meiner Meinung nach an der letzten, scheinbar nicht enden wollenden 20th Anniversary Tour. Als diese dann endlich vorbei war habe ich kein großes, sondern ein extra großes schwarzes Kreuz gemacht. Aber was ich vorhin auch schon gesagt habe, ich war 19 Jahre alt, als ich Brian getroffen habe, seitdem spielen wir in einer Band zusammen, sind gemeinsam durch Sibirien getourt, haben bei 40°C in Kambodscha gespielt und Morddrohungen in Marokko erhalten, sowas schweißt extrem zusammen. Mittlerweile hat sich die mentale Lage bei mir geändert, ich fühle mich wohl und die neuen Songs sind es definitiv wert, dass wir diese auch live präsentieren. Darüber hinaus ist die Live-Band dieselbe wie bei der letzten Tour, es ist wie ein Ausfahrt mit guten Freunden. Dazu kommt natürlich auch die Energie und Liebe von den Fans bei solchen Events, welche ich jedes Mal aufs Neue ganz tief in mir aufsauge. Das ist mein Stand jetzt, wo ich noch nicht auf Tour bin, sprich mich während der Tournee an und du bekommst eventuell eine andere Antwort.
Pic-Credits by Mads Perch
Homepage: www.placeboworld.co.uk
Text: Alexander Stock