Interviews

Das große Saltatio Mortis Interview: „Kreativität ist organisch und nicht berechenbar“.

„Kreativität ist organisch und nicht berechenbar“.

Sie gründeten sich vor 21 Jahren in Karlsruhe und haben sich den Mittelalter-Rock auf die Fahne geschrieben, Saltatio Mortis. Nachdem aller Anfang schwer war, platzierte sich Album Nummer fünf „Des Königs Henker“ im Jahre 2005 das erste Mal in den deutschen Albumcharts (Platz 54). Seitdem sind die dort nicht mehr wegzudenken, haben alle vier letzten Alben auf die Pole-Position gehievt und stehen nun mit „Für immer frei (Unsere Zeit Edition)“, einer Kombination aus Live-DVD, neuem Material und dem Silberling aus 2020 erneut an der Startlinie. Zu diesem Anlass hatten wir die Möglichkeit, uns ausführlich mit dem Mann am Mikro und Gründungsmitglied Mortis Jörg Roth alias Alea auszutauschen.

Hardline: Hallo Jörg, danke, dass du dir Zeit für unsere Leser genommen hast. Zuerst kurz eine persönliche Frage, du bist 1978 geboren, also ein Kind der späten achtziger Jahre. Welche Bands hast du als Jugendlicher gehört, wer trieb dich zum Singen?

Jörg Roth alias Alea: Hi Alex, schön dich zu sprechen. Musikalisch ging es bei mir recht früh mit Rock und Metal los, ich hörte Warlock, Iron Maiden, Judas Priest vor allen Dingen mit dem Album “Painkiller”, dann Helloween mit den beiden Keeper Alben, Slayer mit „Seasons In The Abyss“ und Metallica – “Ride The Lightning”. Später gings dann mit Pantera etc. weiter. Jon Bon Jovi hat mich im Prinzip mit den Alben „Blaze Of Glory“, welches ich auch heute noch klasse finde, und dann natürlich „Keep The Faith“, bei dem ich mich dann auch frisurentechnisch dem Jon nähern wollte (lach), zum Singen gebracht.

HL: Das hat sich dann ja stilistisch doch ein wenig geändert (lach). Ab 2000 seid ihr dann auf den Mittelalter-Märkten recht erfolgreich aufgetreten, in einem Interview meintest du: „Wir lebten im Moment. Ich glaube, genau das ist es, was ich an dieser Zeit des Aufbruchs in meiner Erinnerung so sehr schätze. Wir waren wild und wollten die Straßen erobern. Was morgen passiert, war egal. Natürlich ist das eine romantisierte Erinnerung, es gab auch sehr viele Rückschläge.“ Welche waren diese?

JR: Das waren die Zeiten, wo der normale Job immer mehr in den Hintergrund rückte, was bei vielen große Ängste schürte, das Richtige zu tun, ob’s wirklich sinnig ist. Gerade, wenn die Verwandtschaft oder Bekanntschaften einen davon damals eher abgeraten haben.

HL: Na ja, aber ihr habt ja mittlerweile seit Jahren große Erfolge zu feiern…

JR: Mittlerweile ja, aber gerade in den ersten fünf bis zehn Jahren war der Erfolg nicht so groß, in der Phase drifteten wir auch ein wenig auseinander. Da dann aber immer noch Menschen um einen herum waren, die an einen, an uns geglaubt haben, machten wir weiter und stehen jetzt stabil da und geben wie jetzt Interviews (lach). Ein großer Vorteil von uns ist, dass wir nach wie vor alle Freunde sind. Wir wurden nicht gecastet, wir haben uns auf den Märkten kennengelernt und alle die gleichen Ideen und Interessen gehabt. Und da wir gerade Anfangs auch jede Menge Dreck gefressen haben, wissen wir unseren aktuellen Stand zu würdigen, sind dankbar. Und die Mannschaft, die jetzt nach 20 Jahren auf der Bühne steht, hat sich zusammengefunden und ist meiner Meinung nach das Kraftvollste, was es je gab.

HL: Der Mittelalter-Rock ist in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. Woran, glaubst du, liegt das? Ich glaube, dass die Kombination zwischen den Gitarren, den Dudelsäcken und am Ende auch den deutschen Texten ist. Dieses Ganze ist der ideale Partner fürs Feiern, Party zu machen…

JR: Wenn du mal auf Europa schaust, dann es völlig normal, Folk-Einflüsse der eigenen Kultur mit der aktuellen Pop/Rockmusik zu verbinden, außer hier in Deutschland. Hör dir die Musik in der Türkei an, sehr häufig sind dort landestypische Instrumente vertreten, das Gleiche im Balkan oder im Nahen Osten, Japan und und und. Diese landestypischen Klänge sind den Menschen dort bekannt, beliebt und Teil der Kultur und Vergangenheit. Und wir haben ebenfalls solche Klänge in unserer Musik, gespielt auf echten Instrumenten. Und auch hier ist eventuell die Antwort auf deine Frage zu finden, denn wer berührt den Menschen, den Hörer und bringt ihn eventuell zum Weinen, derjenige am Synthesizer, der die Musik dort einprogrammiert oder die Person, die allein auf dem Platz steht und Geige spielt? Es ist definitiv immer die Emotion, die von echten Instrumenten transportiert wird.

HL: Da stimme ich vollumfänglich zu! Darauf aufbauend meine Frage, habt ihr beim Kreieren der Songs eventuell auch unbewusst die Gedanken im Kopf, dass die Songs auch live funktionieren, sowohl in den ruhigen als auch in den lauten Momenten eines Gigs?

JR: Da kann ich nur für mich sprechen, wenn mich ein Song abholt, wenn ich über einen Song sage „der ist geil“, dann habe ich noch keinen Moment erlebt, dass dieser nicht auch live funktioniert, über jegliche Grenzen hinweg. Und das Schöne ist darüber hinaus, dass solche Songs Menschen verbinden und bestenfalls sogar zusammenbringen.

HL: Das wäre der Idealfall. Wobei es ja manchmal doch Unterschiede zwischen Studio und Live gibt. Für mich ist einer dieser Songs „Mittelalter“ vom letzten Album „Brot Und Spiel“. Während meine Favoriten da sofort der Titeltrack und allen voran „Brunhild“ war, entwickelte „Mittelalter“ live so dermaßen viel Energie, dass ich nach dem Konzert hier in Hamburg komplett „high“ war… und dieses nicht wg. übermäßigem Alkoholgenuss (lach).

JR: Genau das ist das, was ich eben meinte. Live ist es ein gemeinsames Gefühl, das dann auch gemeinsam gelebt wird. Auch wenn du einen durchschnittlichen bis miesen Tag hast, stehst du dann gemeinsam mit vielen anderen Menschen im Klub oder in der Halle und vergisst den ganzen Mist für einige Zeit, man genießt gemeinsam die Stimmung.

HL: Wo wir gerade beim Kreieren waren, wie entsteht bei euch eigentlich ein Song, zuerst die Riffs, die Melodien oder zuerst die Texte und dann passend dazu die Musik?

JR: Das ist tatsächlich völlig unterschiedlich, mal springt uns ein Text an, der dann ein Gefühl für den musikalischen Teil auslöst, mal haben wir eine Songstruktur, wo dann ein neuer oder eventuell schon vorhandener Text wie die berühmte Faust aufs Auge passt. Aber Kreativität ist organisch und nicht berechenbar.

HL: Saltatio Mortis setzt sich für Gleichberechtigung ein, bei Facebook sieht man die Regenbogenflagge, ihr scheut euch nicht, auch zu solchen Themen im wahrsten Sinn des Wortes Flagge zu zeigen.

JR: Wenn ich mit meiner Meinung, wenn wir mit unserer Einstellung nicht anecken, dann habe ich, dann haben wir eine ganze Menge falsch gemacht. Menschen sind verschieden! Dieses sehe ich als absolute Stärke von uns allen an! Die verschiedensten Ideen kommen zusammen und können ein großes Ganzes bilden. Und ich finde, dass wir so bunt wie möglich, so schrill wie möglich und so frei wie möglich leben sollten! Ich möchte mit meinen Schwächen und Stärken, Ängsten, Sorgen und mit meiner Freude wahrgenommen, geschätzt, angenommen und geliebt werden. Und genau dafür stehe ich, dafür stehen wir ein und werden uns immer entsprechend präsentieren!

HL: Kommen wir zur Special Edition von „Für Immer Frei“. Mit ein wenig Abstand auch zu diesem Album, was ist für dich aus künstlerischer Sicht, nicht aus kommerzieller Sicht, das am besten gelungene Album?

JR: Da ich durch und durch Musiker bin, sind gerade die letzten Songs technisch gesehen das Abwechslungsreichste, was wir je gemacht haben. Rein gesanglich sind da so viele Stile enthalten, was bei den Vorgängern in dieser Dichte noch nicht vorhanden war. Wir haben die Freiheit, mittlerweile unsere Vorstellungen einfließen lassen zu können. Und wenn wir Bock auf Crossover haben … dann machen wir das (lacht)

HL: Nun veröffentlicht ihr „Für immer frei (Unsere Zeit Edition)“, zwei CDs, eine davon mit acht bzw. eher sechs neue Songs, dann die Album-CD und darüber hinaus noch einer DVD. So weit, so gut, ich habe nach dem Post über euer neues Album allerdings auch kritische Stimmen gehört, die ein gewisses Unverständnis darüber zeigten, denn die Käufer, die im Jahre 2020 das normale Album auf die Top-Position der deutschen Album Charts brachten, fühlen sich zum Teil mit dem neuen, erweiterten Release ein wenig veräppelt. Warum habt ihr denn, wenn schon sechs neue Songs aufgenommen wurden, nicht zum Beispiel noch vier bis fünf weitere kreiert, eventuell die Duette aus den letzten Monaten mit rauf genommen und dann ein eigenständiges, neues Album herausgebracht, eventuell als Goodie die DVD dann dort mit rein?

JR: Der Blickwinkel, die Idee von uns ist hier zu beachten. Nicht die CD, sondern die DVD ist der Treiber. Es ist aktuell tatsächlich verdammt schwierig, nur eine einzelne DVD herauszubringen, auch wenn die Bühne und die Stimmung richtig gut eingefangen wurde. Es ist darüber hinaus auch das erste Mal, wo wir nach Corona auf der Bühne standen und auch, wo Jan am Schlagzeug saß. Wir veröffentlichen ergo nicht das Album zum zweiten Mal, sondern wir liefern neben der tollen Live-DVD eine Bonus-CD mit fetten neuen Songs drauf. Es sind wirklich keine alten B-Scheiben, sondern brandneue Songs! Und last but not least, für all die Anhänger, welche das Album noch nicht haben, noch das Studio-Album von 2020. Denn, wir haben das Album inmitten der Corona-Zeit veröffentlicht, wo kein einziger Live-Gig möglich war, die Fans haben es eventuell von Amazon oder Spotify mitgeteilt bekommen „Achtung, da gibt es was Neues von Saltatio Mortis“. Jetzt ist UNSERE ZEIT, und das wollen wir zusammen mit den Fans feiern!

HL: Dann durfte ich euch noch einige Male bei Konzerten in Hamburg (u.a. mehr Theater) oder bei Festivals erleben, damals… in der guten alten Zeit. Jetzt habe ich ein Video von euch gesehen, beim Konzert vor Strandkörben. Wie schafft ihr es, auch da Vollgas zu geben, obwohl das Publikum nicht einen Meter entfernt dir zujubelt?

JR: Ich hatte tatsächlich Respekt vor der Nummer, weil die Leute physisch dann doch auseinander standen. Aber nach drei Songs verflog dieser. Wir haben die Leute dann zum Springen und Singen gebracht. Wir hatten zudem auch wirklich Glück mit der Anlage. Der Sound war wirklich fett. Und am Ende ist es ja aber auch eine Frage der Einstellung, denn wenn ich jetzt auf die Bühne gehe und innerlich der Meinung bin „es wäre doch sooo schön, wenn die Strandkörbe weg wären, dann wird’s ein eher schlechter Abend. Aber wenn ich sage „Wie geil, ich kann wieder vor Menschen spielen, kann deren Lachen vernehmen, deren Emotionen spüren“, dann habe ich doch alles, was ich mir wünsche!

HL: Apropos Live, gibt es für dich einen Lieblingsort, wo es dir am besten gefällt, wo du die besten Momente hattest? Eventuell auf Festivals wie beim Rockharz, eventuell Wacken?

JR: Es gibt da mehrere Orte und es wäre ungerecht, einige nicht zu nennen. Für mich gehört definitiv Wacken dazu, wo wir uns von der kleinen Zeltbühne, in der das Wasser gestanden und es nach Schweinestall gerochen hat, bis zur Hauptstage hochgespielt haben. Es ist grandios und verleiht einem eine Gänsehaut, wenn du an einem Tag um 19 Uhr auf der Hauptbühne spielst. Ein weiterer Auftritt auf dem Wacken Open Air, der mir noch viel mehr im Gedächtnis blieb, war einige Jahre vorher, damals auf der Partystage. Ich trug – eigentlich – weiße Klamotten und dehnte mich kurz vorm Auftritt, legte deswegen das Mikro auf eine der Boxen. Als das Intro dann ertönte, rollt das Mikro dann durch die Vibration von der Box, genau in die Aussparung zweier Bühnenplatten. Panik machte sich breit, Bühnentechniker und ich holten dann das Mikro unter der Bühne wieder hervor, ich kam dann auf den Punkt auf die Bühne und konnte starten, diese dann in versiffter Klamotte, was aber völlig egal war. Und dann natürlich sind da noch Erlebnisse aus der Vergangenheit, wo wir auf einem Festival in Schweden14 Straßen-Musiken pro Tag gespielt haben und über 1000 Exemplare von unserem Debüt-Album „Tavernakel“ pro Tag verkauft haben. Davon bezahlten wir unter anderem unsere Rückfahrtickets. Dann das von dir erwähnte Rockharz, wo wir in einem Line-Up gespielt haben, wo unsere Helden ebenfalls anwesend waren. Wir haben wirklich eine andere Wahrnehmung von uns selber als die Menschen, die uns komplett abfeiern. Auch das Backstage-Personal beim Rockharz, aber auch in Wacken ist immer grandios, man freut sich, immer wieder dort hinkommen zu können. Last but not least muss ich noch das Summer Breeze nennen, ich denk noch heute an unser Release-Konzert zu „Zirkus Zeitgeist“, nachts auf der Hauptbühne. Mehr geht nicht, es war der absolute Wahnsinn! Auch hier muss man die gesamte Crew dort vor Ort erwähnen, denn ohne die geht nichts, und dieses muss immer wieder erwähnt werden.

HL: Absolut! Es wurde vor kurzem bekannt gegeben, dass dein Freund und Kollege Timo Gleichmann (Lasterbalk der Lästerliche) Vater geworden ist und sich zumindest vorläufig vom Tourleben verabschiedet hat. Wirkt er denn an den Studio-Alben noch mit, ist es ein Abschied auf Zeit, oder wurde das Live-Studio-Stoppschild endgültig gehoben?

JR: Er hat sich, was das Performen angeht, komplett zurückgezogen. Jan hat alle Songs eingespielt, dieses grandios. Timo schreibt aber weiterhin Texte, ist ganz normal im Songwriting integriert, wie sonst auch immer. Aktuell will er seine Tochter beim Großwerden begleiten, und da ist es schwierig, wenn man wochenlang auf Tour geht oder im Studio verweilt.

HL: Alles Blicke bei euren Live-Gigs sind meist auf dich gerichtet, als Mann am Mikro und Mittelpunkt der Show, Timo hatte ja auch seine Auftritte während eurer Shows, wo du dann ein wenig Luft holen konntest. Übernimmt eventuell jetzt ein anderer der Band diesen Show-Teil vom Timo?

JR: Man wächst mit seinen Aufgaben (lacht). Also ein Ersatz für Timo ist nicht geplant, es ist anstrengend, macht aber wahnsinnig viel Spaß.

HL: Da die Pandemie eine Tour in normalem Ablauf nicht zulässt, ist Zeit vorhanden, um Songs zu erschaffen, gibt es bereits Pläne für ein neues, komplettes Album im nächsten Jahr?

JR: Da wir ja jetzt all unsere neuen Songs rausgehauen haben, wird’s definitiv nichts mit einem neuen Album in Jahr 2022. Was wir aber durchziehen wollen, ist endlich unser Jubiläum zu feiern, zwei Tage Riesenshow im Palladium in Köln. Dann wollen wir auch endlich die Tour spielen und und und. Klar erarbeiten wir auch neue Songs, aber für ein Album wird’s nächstes Jahr definitiv nicht reichen. Aber es wäre prima, wenn wir ein wenig mehr Normalität wieder reinbekommen können. Ich wollte an dieser Stelle die Möglichkeit nutzen, mich bei allen Fans bedanken, die uns über die ganzen Jahre die Treue halten, danke für die Konzerte, die aktuell stattfinden. Danke an die Veranstalter, die sich trauen, solche Strandkorbkonzerten inkl. Zuhilfenahme von Medizinern durchzuführen und eben diese Art der Konzerte entwickelt haben, lasst uns zusammen feiern und gesund bleiben!

Text: Alexander Stock

Saltatio Mortis – Nie allein (Official Music Video) – YouTube