Extrabreit Interview – Die Fressen aus dem Pott sind zurück
Extrabreit – Die Fressen aus dem Pott sind zurück
Extrabreit sind eine feste Institution und aus der deutschen Musikszene nicht mehr wegzudenken. Unzerstörbare Klassiker, wie ‚Hurra, die Schule brennt‘, ‚Flieger, grüß mir die Sonne‘ oder ‚Polizisten‘ haben sie in den achtziger Jahren in die oberste Riege gebracht. Bands wie Die Ärzte oder die Toten Hosen geben Extrabreit als ihren größten Einfluss an. Nun, zwölf Jahre nach ihrem letzten Album „Neues von Hiob“ melden sich die Jungs zurück. Und wir waren froh, trotz Corona, Sänger Kai Havaii persönlich in Berlin getroffen zu haben.
Hardline: Schön, dass es mit einem persönlichen Treffen funktioniert hat. Zwölf Jahre sind seit eurem letzten Album vergangen. Selbst für etablierte Haudegen wie euch ist das eine lange Zeit. Was ist passiert?
Kai Havaii: Ja, ich freu mich auch, dass wir ein persönliches Interview bekommen. Ja, was ist passiert? Wir haben über all die Jahre immer wieder Demos aufgenommen. Wenn ich in Hagen war, dann haben wir immer mal am Rande der Proben was eingespielt. Wir haben ja sehr viel live gespielt die letzten Jahre. Und da kommen natürlich auch immer wieder Ideen. Die waren auch immer ganz nett, sind dann aber erstmal in die Schublade gewandert und teilweise auch wieder vergessen. Wir hatten tatsächlich bis dahin noch nicht das Gefühl gehabt, dass wir jetzt ein richtig cooles Album zusammen hätten und wir hatten ja auch keinen Druck in der Richtung. Live lief es ja super, also haben wir uns gesagt, dass wir warten wollen. Hinzu kam, dass Stefan und ich zwischendurch noch mit anderen Dingen beschäftigt waren. Stefan hat Soloalben veröffentlicht und ich habe in der Zeit zwei Bücher geschrieben. Gerade letztes Jahr habe ich meinen ersten Thriller „Rubicon“ veröffentlicht, der über sechshundert Seiten hat. Da habe ich zwei Jahre dran geschrieben. Uns war also nicht langweilig. Kurz und gut, Anfang des Jahres hat es sich ergeben, dass unser Live-Mischer sich mit seinem Partner ein paar Demos von uns geschnappt und ein wenig produziert hatte. Das war einfach nur für sich. Und nach und nach hat er uns das Resultat präsentiert und wir stellten fest, dass die Songs so schlecht jetzt nicht waren. (lacht) Das war letzten Endes auch der ausschlaggebende Punkt, warum wir letztendlich auch gesagt haben, dass wir das Album jetzt auch fertigmachen.
HL: Wenn du von Demos sprichst, meinst du damit schon komplett fertige Songs oder eher Ideen, mit denen euer Produzent gearbeitet hatte?
KH: Sowohl als auch. Wir hatten wirklich unterschiedlichste Stadien. Manchmal waren es an sich schon fertige Songs, an denen wir nur noch marginal etwas ändern mussten, manchmal waren es nur grobe Ideen. Die haben aber schon gereicht, um uns am Ende einen Eindruck zu präsentieren, wie der Song final klingen könnte. Und wir fanden dann, dass wir es beenden sollten, weil es ja auch zu schade ist, diese Songs in der Schublade zu vergessen. Und dann kam im Frühjahr nun auch die Corona-Geschichte hinzu. Also fielen eventuelle Live-Aktivitäten aus und so haben wir die Zeit komplett für das Album genutzt.
HL: Und nun auch restlos zufrieden, die Songs doch noch beendet zu haben, oder?
KH: Ja, natürlich. Obwohl das auch immer eine subjektive Betrachtung ist. Als Künstler hast du am eigenen Werk immer irgendetwas zu meckern. Da findest du immer Sachen, die man im Nachhinein anders gemacht hätte. Aber das Wichtigste von allem ist, dass das Feedback durchweg positiv ist. Die Fans haben auch schon die Vorabsingle ‚Die Fressen aus dem Pott‘ gehört und mögen es. Also haben wir einiges richtig gemacht. Im April haben wir uns noch einmal an ein Hans Albers-Cover gewagt. Vierzig Jahre nach ‚Flieger, Grüß mir die Sonne‘ schließt sich nun der Kreis. Der Song ist als kleine Entschädigung gedacht dafür, dass wir nicht touren können und passt auch zur derzeitigen Situation.
HL: Ihr hattet also schon eine Tour im Gepäck?
KH: Ja, klar. Wir wollten mit dem Album auf Tour gehen. November und Dezember war unsere Weihnachtsblitztournee geplant, die fällt ja leider aus.
HL: Kommen wir doch einmal auf einen bestimmten Song vom Album zu sprechen: ‚Robotermädchen‘. Da höre ich doch die Konkurrenz in dem Song. Da hört man doch deutlich ‚Westerland‘ von Die Ärzte. Wie kam es dazu?
KH: (lacht) Ganz ehrlich, das ist mir echt nicht aufgefallen. Im Grunde genommen ist das eine ganz klassische Extrabreit-Nummer. Wenn du jetzt ‚Westerland‘ erwähnst, könnte man ja auch sagen…
HL: Ja, gut, Die Ärzte haben euch ja auch immer als große Inspiration genannt.
KH: Ja, ich denke, dass wir damals so eine Art Sonderposition hatten. Wir haben ja damals schon immer auf die schnellen, griffigen Drei-Minuten-Nummern gesetzt, aber diese auch immer ein wenig poppig gehalten. Du hast natürlich recht, wenn du das bei ‚Robotermädchen‘ erwähnst. Der Song hat halt das klassische Arrangement und erinnert sehr stark an die ganz frühen Songs von uns. Aber, so viele Akkorde gibt es jetzt nicht, es kann also durchaus sein, dass da Ähnlichkeiten vorhanden sind, die wären aber wirklich zufällig.
HL: Was inspiriert insbesondere dich zu deinen Texten?
KH: Das kann im Grunde genommen alles sein. Nehmen wir einmal das Beispiel ‚Robotermädchen‘: Es gibt die tolle BBC-Serie „Humans“. Da geht es um einen weiblichen Hausandroiden. Der ist sehr menschenähnlich und auch sehr attraktiv. Der ist für verschiedene Sachen programmiert, hat aber auch einen Geheimcode, sodass er auch als Liebespartner dienen kann. Das ist natürlich nichts für die Familie, weshalb auch nur der Vater den Code hat. Aber irgendwie schafft es der Sohn an den Code zu kommen und nutzt diese Situation natürlich aus. Ich fand die Geschichte unheimlich gut und skurril zugleich, weshalb ich dachte, da schreib ich etwas zu. Ein anderer Song wiederum, ‚Seine Majestät der Tod‘, handelt davon, dass mein Vater vor einem Jahr gestorben ist. Du merkst also, ich habe viele verschiedene Quellen. Sehr persönliche Themen oder halt auch fiktionales.
HL: Jetzt hast du ja vorhin von deinem ersten Roman erzählt. Hat die Erfahrung als Schriftsteller auch deine Art und Weise beeinflusst Songs zu schreiben?
KH: Das kann man so jetzt nicht vergleichen. Ein Pop- oder Rock-Song ist ja verdichtete Prosa. Also eine Geschichte in sehr kurzer Zeit erzählt, wohingegen ein Roman ja darauf ausgelegt ist, eine Geschichte in einem langen, dramatischen Bogen richtig auszuerzählen. Aber es hat zumindest eines gemeinsam, dass ich schon immer gerne geschrieben habe. 2007 habe ich ja meine Biografie geschrieben, wollte aber schon immer einmal einen echten Roman machen. Und das hat mir so gefallen, dass ich da auch in Zukunft dabeibleiben werde und neben der Musik weiter Bücher schreibe.
HL: Wenn du jetzt einmal zurückblickst: Was ist der größte Unterschied zwischen diesem Album und dem letzten?
KH: Stilistisch erstmal keiner, würde ich sagen. Der größte Unterschied ist offensichtlich. Das letzte Album ist zwölf Jahre her, wir sind also alle zwölf Jahre älter. Wir sind jetzt – bis auf unseren Bassisten – in unseren Sechzigern und das Gefühl, dass wir dem Ende näher sind als dem Anfang, ist natürlich viel stärker. Es sind einem andere Dinge wichtiger als früher und man beschäftigt sich auch eher mit anderen Themen. Gerade auch, weil man in diesen zwölf Jahren immer wieder sehen musste, wie viele Freunde und Weggefährten diesen Planeten verlassen haben. Das versetzt einen auch schon mal in eine andere Stimmung. Keinesfalls eine hoffnungslose, aber in eine nachdenklichere Stimmung als das der Fall war, als wir Anfang zwanzig waren.
HL: Nun hat Corona alles geblockt. Aber viele Veranstalter und Künstler sind hingegen kreativ geworden. Sie spielen Online-Konzerte oder im Autokino. Ist das etwas für euch?
KH: Autokino auf keinen Fall. Wir wollen mit dem Publikum interagieren, weshalb ich mir so etwas genauso wenig vorstellen kann, wie ein Online-Konzert. Stefan und ich wollen ein paar Akustikkonzerte spielen, wo wir ein komplett heruntergestripptes Programm präsentieren – was wir übrigens schon seit vielen Jahren sehr gerne mal machen. Aber, sollte es doch noch länger dauern, bis wir auf Tour gehen können, könnten wir noch einmal über die Möglichkeit eines Streaming-Konzertes nachdenken. Aber nur, um den Fans wenigstens ein Trostpflaster zu bieten.
Pat St. James