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Das große Interview mit Deep Purple: Rente? Was ist das?

Deep Purple – Rente? Was ist das?

Freunde, verbeugt euch, denn hier kommt eine absolute Legende! Das kann man zwar über viele Acts sagen, aber bei den wenigsten trifft das so sehr zu, wie bei Deep Purple, denn immerhin gehört diese Band zu den Urvätern des Hard Rock, Prog Rock und Heavy Metal. Nun liegt mit „Whoosh“ dass inzwischen 21ste Album vor – und das, obwohl man vor drei Jahren sogar über einen Abschied nachgedacht hat. Hier konnten wir einmal dem Bassisten Roger Glover auf den Zahn fühlen.

Hardline: Hallo Roger, schön dass du dir Zeit genommen hast für dieses Interview. Und schön, dass ihr euch doch noch entschieden habt, ein neues Album aufzunehmen. Es ist wirklich gut geworden.

Roger Glover: Freut mich, dass es euch gefällt. Ich kann leider nicht viel dazu sagen.

HL: Warum nicht? Irgendwelche Sonderklauseln in den Verträgen?

RG: Nein, die Wahrheit ist, weil ich es noch nicht gehört habe. Nicht einen Ton. Aber ich finde es gut, dass es dem Rest der Welt, der es gehört hat, gefällt.

HL: Oh, super. Dann haben wir ja quasi die perfekte Basis für ein Gespräch.

RG: Ich habe mir natürlich einen Scherz erlaubt. Klar habe ich das Album gehört. Aber schön, dass ihr passend reagiert habt.

HL: Ich kenne und liebe den britischen Humor, deswegen hatte ich die passende Antwort dazu. Ich hätte mich auch gewundert, wenn du als Songwriter das Album nicht kennst. Aber legen wir doch gleich los. Denn vor drei Jahren hatten wir uns in Berlin getroffen, um über das Album „InFinite“ zu reden. Damals sagtest du, dass dies wahrscheinlich das letzte Album sein wird und dass ihr mit der darauffolgenden Tour euren Abschied einleiten werdet. Nun ist alles anders?

RG: Das muss ich relativieren. Wir sagen bereits seit Jahren mit jedem neuen Album, dass dies wohl das letzte ist (lacht). Don Airey hatte diese Aussage bei „Now What?!“ (2014) und ich hatte das auch gesagt beim letzten Album, das stimmt. Das liegt einfach daran, dass wir vom derzeitigen Moment ausgehen. Wir sind realistisch und wissen auch, dass wir nicht mehr die jüngsten sind. Doch wir sind auch Künstler und in uns fließen stetig kreative Prozesse. Also probieren wir es dann ein weiteres Mal. Wichtig ist uns nur, dass wir nicht zu einer Parodie von uns selbst werden. Wenn wir merken, dass nichts Vernünftiges in so einer Session herauskommt, dann ziehen wir freiwillig die Reißleine. Nichts ist schlimmer, als wenn ein Fan sagt, dass wir den richtigen Zeitpunkt für einen Absprung verpasst haben.

HL: Man merkt auch den hohen Anspruch, den ihr an euch selbst stellt in jedem Song. Es ist schön zu sehen, dass ihr nach all den Jahren im Business immer noch hungrig seid und den Fans neue Musik präsentiert. Während es genug Bands gibt, die seit Jahren oder Jahrzehnten immer gleich klingen, habt ihr immer noch den Anspruch neue Facetten aus eurer Musik herauszukitzeln.

RG: Wir schreiben ja seit Jahrzehnten Musik zusammen. In dieser Konstellation nun seit fast zwei Jahrzehnten. Da weiß man einfach, was man mit den anderen probieren kann und was nicht, beziehungsweise was möglich ist. Sicher, wir hätten auch über all die Jahre Alben machen können, die wie „Deep Purple In Rock“ (1970) oder „Machine Head“ (1972) klingen. Aber, ob wir dann so erfolgreich geworden wären, ist die nächste Frage. Uns ist einfach wichtig, nicht auf der Stelle zu treten. Aus diesem Grund hatten wir uns damals auch für Steve Morse als Gitarristen entschieden, als Ritchie ausgestiegen ist. Wir hätten einen Gitarristen nehmen können, der klingt wie Blackmore. Aber es gibt eben nur einen Ritchie Blackmore. Alles andere sind Kopien und das wollten wir nicht. Wir wollten bewusst einen Gitarristen, der anders klingt, seinen eigenen Stil mit in die Band bringt. Und so ist das auch mit unserer Musik. Die Alben sollen nie gleich klingen.

HL: Was mir beim Hören aufgefallen ist, ist dass ihr wieder mehr Orchesterparts in eure Songs eingebaut habt. Nun ist es ja bekannt gewesen, dass Jon Lord damals eine Symbiose aus Rock und klassischen Elementen mit Deep Purple machen wollte. Sind diese orchestralen Parts quasi eine Art Tribut an den einstigen Keyboarder und Bandgründer?

RG: Es ist unbestritten, was Jon mit dieser Band und auch mit der Musik gemacht hat. Sein Beitrag für uns und die gesamte Szene sind nicht mit Gold aufzuwiegen. Aber diese Parts haben tatsächlich nichts mit ihm zu tun. Wir haben vor ein paar Jahren eine Tour mit einem kleinen Orchester gemacht. Es war ein kleines Jazzorchester, bestehend aus vierzig Personen, wenn ich mich recht erinnere. Diese Zusammenarbeit hat uns allen richtig Spaß gemacht und hat wieder eine neue Dynamik in die Musik gebracht. Uns war klar, dass wir das wieder in die Songs einbauen wollten. Zu manchen Songs hat es gepasst, bei anderen wieder nicht. Aber es ist schön, dass ihr diese Parts bemerkt habt, weil wir sie ja nicht dominant in unsere Musik haben einfließen lassen.

Whoosh! – das neue Album von Deep Purple

HL: wenn man noch einmal auf eure Karriere zurückblickt, dann fällt vor allem auf, dass die Band in den ersten Jahren, seitdem du Ian Gillan eingestiegen sind, die Alben alle selbst produzierten. Du selbst hast dich über all die Jahre hinweg als etablierter Produzent bewiesen. Dennoch habt ihr auf die Hilfe von Bob Ezrin zurückgegriffen, der ja selbst durch seine Arbeit mit Pink Floyd, Alice Cooper oder Kiss einen Legenden-Status erreicht hat. Wie kam es dazu?

RG: Bob hatte uns eines Tages bei einer unserer Shows in Toronto besucht. Wir haben lange intensive Gespräche geführt und er meinte dann nur, dass er Lust hätte, mal mit uns zu arbeiten. Wir haben ihm ein paar Demos geschickt und er hat uns Feedback gegeben und einen ersten Mix erstellt. Das hat uns überzeugt. Ich bin zwar selbst Produzent und das macht mir auch Spaß, aber ich bin auch Mitglied dieser Band. Mir fehlt der Blick von außen, der für ein Album enorm wichtig ist. Wir haben damals die Alben selbst produziert, weil es kostengünstiger war. Und ihr sagtet es selbst: Bob ist eine Legende. Wenn ich ehrlich bin, wollten wir schon seit Ewigkeiten mit ihm arbeiten, es hat sich nur nie ergeben. Und jetzt haben wir bereits drei Alben zusammen gemacht. Diese Zusammenarbeit ist, wie ich finde, die fruchtbarste – ohne den Beitrag unserer anderen Produzenten kleinzureden. Aber mit Bob ist das schon eine ganz andere Dimension. Es könnte ruhig so weitergehen.

HL: Oh, höre ich da etwa, dass es Potential für weitere Musik gibt?

RG: Wie schon zu Beginn gesagt: Wir sind realistisch. Wir haben ein fortgeschrittenes Alter, jetzt kommt noch so ein Virus hinzu, der die Welt bedroht. Wir leben im Hier und Jetzt. Es könnte sein, dass dies das letzte Album ist. Aber es ist durchaus möglich, dass noch weitere folgen. Und wenn weitere folgen, dann bitte auch mit Bob Ezrin als Produzenten.

HL: Du hast ja vorhin erwähnt, dass ihr mit dieser Konstellation bereits fast zwei Dekaden zusammen seid. Deep Purple hat ja die legendäre „Mark“-Bezeichnung ins Spiel gebracht, die aufzeigt, wie viele Besetzungen, beziehungsweise wie viele Konstellationen es bereits gegeben hat. Hand aufs Herz, hast du da einen Überblick bei euch?

RG: Um ehrlich zu sein: Nein. Aber diese Bezeichnung hatte damals auch unser Buchhalter ins Spiel gebracht, um nicht durcheinanderzukommen. Aber, es gibt zumindest deutlich mehr Bands, bei denen die Zusammensetzungen weitaus komplizierter ist als bei uns. Und ich konzentriere mich auf die derzeitige Konstellation.

HL: Wenn man mit jemanden von Deep Purple spricht, MUSS man natürlich auch auf die gesamte Karriere blicken. Ich meine, ihr habt ein komplettes Genre nicht nur geprägt, sondern auch mit erfunden. Gemeinsam mit Led Zeppelin habt ihr den Hard Rock definiert. Damit seid ihr auch quasi Wegbereiter des Heavy Metal. Ihr habt unzählige Musiker beeinflusst. Wie fühlt sich das für dich an, wenn man dich als Legende bezeichnet.

RG: Sie haben Recht, wenn sie mich als Legende bezeichnen (lacht). Nein, Spaß beiseite. Ich würde sagen, dass wir einfach damals Glück hatten. Ian Gillan und ich sind damals in eine Band eingetreten, die noch nicht wusste, welchen Weg sie musikalisch beschreiten sollten. Ian und ich hatten vorher gemeinsam in einer Band gespielt und hatten nur ein Ziel: Berühmt werden. Dann trafen wir auf diese Musiker: Blackmore, Paice und Lord. Die wollten einfach nur Musik machen. Erfolg war denen nicht wichtig. Die hatten bereits drei Alben veröffentlicht und ein paar Tourneen gespielt, aber richtig erfolgreich waren sie nicht. Dann kamen Ian und ich hinzu und wir definierten unseren Stil neu. Heraus kam „Deep Purple In Rock“. Und wir haben unsere Ziele verbunden. Die anderen hatten auf einmal den Ehrgeiz Erfolg zu haben und berühmt zu werden und Ian und ich hatten Spaß daran einfach Musik zu machen ohne weitere Hintergedanken. Wir waren damals einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aber es ist schön, dass wir so viele Bands beeinflusst haben.

HL: Und ihr seid auch immer noch am Start, während viele dieser Bands sich inzwischen aufgelöst haben, auf Abschiedstour sind oder sich verabschiedet haben, nur um danach wieder eine Reunion zu feiern. Wie denkst du darüber?

RG: Oh, ich merke, ihr wollt wieder versuchen ein Statement zu bekommen, ob dies unsere letzte Tour ist (lacht). Warum eine Band sich trennt und sich wieder zusammenfindet hat verschiedene Gründe, da kann ich mich nicht zu äußern. Man darf aber nicht gehässig sein, wenn diese oder jene Band ein paar Jahre nach dem Abschied sich wieder zusammenfinden. Im Endeffekt sind wir allesamt Künstler. Das ist nicht nur unser Beruf, sondern auch unser Leben. Und wenn man wegen verschiedenster Differenzen auseinandergeht, darf man nie vergessen, dass die Zeit vergeht. Man wird älter und die Differenzen werden kleiner und man erinnert sich an die großartige Zeit zusammen. So war es auch bei Deep Purple. Ian und ich waren elf Jahre nicht in der Band. Die Band selbst hatte sich 1976 aufgelöst, nur um 1984 wieder zusammenzukommen – in der Besetzung mit mir, Ian Gillan, Ian Paice, Jon Lord und Ritchie Blackmore. Wir haben im Vorfeld lange Gespräche geführt und uns an unsere gemeinsame Zeit erinnert. Die wollten wir wieder aufleben lassen. Und falls ihr auf unseren Abtritt anspielen wolltet: Ich hatte vor drei Jahren gesagt, dass wir einen langen Abschied nehmen. Niemand hat ein verbindliches Schlussdatum gesagt, weil wir das selbst nicht wissen. Wir lassen es auf uns zukommen.

HL: Nun bist du ja selbst Produzent und hast dadurch von Berufs wegen schon einen Blick auf die aktuelle Szene. Gibt es eine Band oder einen Künstler, dem du es zutraust, eines Tages in eure Fußstapfen zu treten?

RG: Nein! Kurz und knapp. Ich nenne euch auch den Grund: Die meisten Künstler heute sind zu glattpoliert. Die Musik klingt überall gleich. Meistens sind es auch keine Künstler, sondern Performer. Die Musik wird auf die jeweilige band oder den Künstler zugeschnitten. Es ist Produzentengemacht. Leider. Es fehlt Innovation. So wie wir damals. Wir hatten etwas gewagt. Das traut sich heutzutage leider niemand. Man kann das wunderbar jedes Jahr aufs Neue beobachten, wenn man den Eurovision Song Contest schaut.

HL: Du schaust den ESC?

RG: Nicht mehr, irgendwann wurde es zu langweilig, weil halt überall dasselbe lief. Ein Glück wurde er dieses Jahr abgesagt.

HL: Obwohl es bei uns in Deutschland ja einen Free ESC gab. Konzipiert vom Produzenten Stefan Raab.

RG: Davon habe ich auch gehört. Gesehen habe ich ihn nicht. War er denn besser als der traditionelle ESC?

HL: Nicht wirklich. Neunzig Prozent der Songs war austauschbar. Da traf genau das zu, was du eben erklärt hast. Aber es gab ein paar großartige Ausnahmen mit großartigen Songwritern.

RG: Das ist schade, aber so ist das Business heutzutage leider. Ein Glück brauchen wir uns nicht nach denen zu richten. Niemand macht uns Vorschriften. Und das ist gut so.

www.deep-purple.com

Text: Pat St. James

Foto – Credit: Ben Wolf